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Tipps zur Work-Li(v)e-Balance

In diesem Buch war viel von Live-Disziplin die Rede. Aber was passiert eigentlich, wenn das ständige Am-Limit-Sein, nicht zu leisten ist? Dann wird der Job zur Belastung und irgendwann gerät das Leben in eine Schieflage. Noch mehr Stress ist die Folge. Wer in diese Abwärtsspirale gerät, kommt so leicht nicht mehr heraus. Der Verlust der Balance ist oft ein schleichender Prozess. Besser wäre es, wenn es gar nicht so weit käme. Zwar gibt es keine Universal-Lösung dafür, wie man den aufreibenden Live-Alltag entstressen könnte. Doch es liegt an jedem Einzelnen, ob man ein Gefühl für sich selbst bewahren kann. Jeder muss für sich selbst einen Ausgleich schaffen und ein Maß ausfindig machen, innerhalb dessen ein Ausgleich gelingt. Mentale Vorsorge zu betreiben, wäre dabei ein gangbarer Weg. Die gute Nachricht: Das kann gelingen, auch im Live-Betrieb.

Wenn es in den Gesprächen mit Kollegen nur noch um Marktanteile geht, wenn vor lauter Druck das Menschliche auf der Strecke bleibt, dann ist es höchste Zeit umzusteuern. Dann hilft nur eins: Gelassenheit. Das Wort selbst verrät, was zu tun ist, um nicht von den Gegebenheiten verschlungen zu werden. Denn Gelassenheit hat viel mit „Lassen“ zu tun, genauer gesagt mit „Los-Lassen“. Von überzogenen Ansprüchen etwa, von einem nicht zu bewältigenden Pensum oder einem ungesunden Perfektionismus, der ausgerechnet dann in Erscheinung tritt, wenn es gerade nicht so gut läuft. Helfen kann dabei:

Erstens: Selbstbeobachtung
Am Anfang steht die Erkenntnis, dass sich eine gesunde Einstellung zur Arbeit
nicht automatisch einstellt. Man muss sie selbst finden und konsequent daran arbeiten. Latent besteht nämlich die Gefahr, dass man sich an das Unbehagen gewöhnt. Nichts ist wichtiger, als von Zeit zu Zeit aus der betäubenden Arbeitsroutine auszubrechen. Ratgeber-Bücher, etwa zum Thema Work-Life-Balance, empfehlen genau dieses: Ein Sich-Bewusst-Werden der Situation, in der man steckt, ist die Lektion, um in einem zweiten Schritt die Motive zu ergründen, die das eigene Denken und Handeln leiten.

Zweitens: Prioritäten setzen
Was ist wirklich wichtig? Was kann warten? Auf was kann man verzichten?
Zu oft verheddern wir uns in oberflächlichen Wünschen oder lassen uns vom allgemeinen Run auf den Erfolg anstecken. Doch wie so häufig gilt: Weniger ist mehr. Sich in den Verhältnissen einzurichten, bedeutet auch, auf Überflüssiges zu verzichten. Ein Hauptproblem besteht meistens darin, dass im Live-Betrieb zu vieles zur gleichen Zeit auf einen einströmt. Daher wird im Live-Betrieb nur derjenige erfolgreich sein, der seine Ressourcen sinnvoll einsetzt und sie in Einklang mit seinen selbst gesteckten Zielen bringt.

Drittens: Ziele formulieren
Was wollen Sie wirklich? Möchten Sie den Fernsehpreis gewinnen? Oder unbedingt in der Redaktionshierarchie aufsteigen? Wenn es diesen Anschein hat, wenn Ihr Ehrgeiz Sie zu permanenten Höchstleistungen anspornt, und Ihr Partner Sie nur noch als arbeitenden Menschen wahrnimmt, wenn sich Ihr Freundeskreis in Luft auflöst, weil keine Zeit mehr ist, Freundschaften zu pflegen, dann sollten Sie den Fuß vom Pedal nehmen – ansonsten schlittern Sie früher oder später auf eine Sinnkrise zu. Sie brauchen ein konkretes Ziel, das Sie sich stecken. Nur wer seine Ziele kennt, gewinnt Kontrolle über sein Leben. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er noch auf dem richtigen Kurs ist. Ein Problem dabei ist, dass Ziele des Senders mit den eigenen häufig kollidieren. Bei der Zielformulierung wird schnell klar, dass man rasch an Grenzen des Machbaren kommt. Aber, was nützt der tollste Job, wenn gesundheitliche Probleme entstehen, weil man Körper und Geist sträflich vernachlässigt?

Viertens: Taten folgen lassen
Für die notwendige Work-Live-Balance zu sorgen, bedeutet, die Probleme auch wirklich anzupacken. Aufräumen ist angesagt. Den Arbeitsalltag zu entmüllen lernen oder die Ansprüche auf ein erträgliches Maß herunterzuschrauben. Wenn es hart auf hart kommt, muss einem das eigene Wohl wichtiger sein als das Wohl des Senders. Lernen Sie auch mal „nein“ zu sagen. Anderseits darf man gewisse Dinge nicht zu weit treiben, sonst könnte man für den Live-Betrieb als untauglich abgestempelt werden. Alles auf einmal machen zu wollen oder ein übertriebener Perfektionismus, wie er bei der Gattung der Fernsehjournalisten häufig vorkommt, ist der Todfeind eines stressfreien Lebens.

Fünftens: Sich selbst treu bleiben
In Echtzeit zu berichten, Ereignisse transportabel zu machen, Interpretationen zu liefern, relevant zu sein – das alles kann zwar einen besonderen Sinn im Leben geben, aber der Sinn des Lebens ist das noch nicht. Um den zu finden braucht es ein stabiles Werte- und Glaubenssystem als Garant dafür, dass man auch mit Rückschlägen und Krisen fertig werden kann. Zumindest bleibt durch Wertorientierung unsere Identität gewahrt. In den Grundsätzen journalistischer Ethik, die auf Wahrheit und Verantwortung beruhen. Generell würde allen Fernsehschaffenden sicher ein Mehr an Gemeinsinn und Bodenhaftung gut tun.

Sechstens: Locker bleiben
Weniger wollen bringt einen oft auch weiter. Nicht ständig Gas geben. Es auch mal gut sein zu lassen, besonders wenn alles rund läuft. Und wenn es nicht so gut läuft, dann machen Sie sich einfach bewusst, dass die Herstellung von Fernsehsendungen keine Operation am offenen Herzen ist. Die Fernsehwelt, und erst recht die Welt da draußen, wird sich weiter drehen – auch dann, wenn der Aufmacher nicht rechtzeitig fertig geworden oder eine Live-Moderation durch einen schlimmen Schnittfehler verpatzt ist.

Es werden immer irgendwelche Ereignisse geschehen, die alle guten Vorsätze durcheinanderwirbeln. Auch hier mag der Rat des Loslassens hilfreich sein. Einfach alle Bekenntnisse abschütteln und vielleicht genau das Gegenteil dessen tun, was man sich vorgenommen hat. Auch das gehört zu einer entspannten Haltung, die man sich antrainieren sollte, wenn man in diesem Beruf alt werden will. Zu einer gesunden Einstellung gehört schließlich auch die Einsicht, dass es eine perfekte Balance nicht geben kann.